Branchentreue oder Flexibilität?

Zahl des Monats 10/2025

01.10.2025

Die letzten zwölf Jahre waren wirtschaftlich von einer starken Nachfrage nach deutschen Gütern und Dienstleistungen geprägt und damit verbunden auch nach Arbeitskräften – bei einer gleichzeitig knappen Anzahl an nicht bereits angestellten Arbeitskräften (Arbeitslosen).

Auf der Angebotsseite ist die Anzahl der Erwerbstätigen – auch aufgrund steigender Erwerbsbeteiligung von Frauen –  in dieser Zeit angestiegen (42,3 Mio. (2013) – 45,9 Mio. (2024)). Die Anzahl der Erwerbslosen ist gesunken (2 Mio. (2013) – 1,5 Mio. (2024)), aber dennoch hat dies den Bedarf nicht decken können.

Was hat diese Phase von anhaltendem Arbeitskräftemangel – neben der Prägung des Begriffes – noch für Spuren hinterlassen?

Die Statistik der neu abgeschlossenen Beschäftigungsverhältnisse (Statistik der Bundesagentur für Arbeit) verdeutlicht, in welchem Wirtschaftsbereich (Abteilungen der WZ 08) ein neues sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis aufgenommen wurde und in welchem Wirtschaftszweig die jeweilige Person zuvor beschäftigt war. Daraus lassen sich das Wechselverhalten in den Wirtschaftsbereich und ebenfalls die Hauptarbeitgeber-/nehmer-Branchen ableiten. Zudem wird sichtbar, wie hoch die Wechselhürden in einen Wirtschaftszweig sind.

Hierbei ist der Selbstversorgungsgrad sehr aufschlussreich, der die Diagonale auf der Matrix der WZ-zu-WZ-Wechsel bildet. Er beschreibt Beschäftigungswechsel innerhalb des gleichen Wirtschaftszweigs, zu denen sowohl Wechsel von Unternehmen A zu B, ein neues Beschäftigungsverhältnis nach einer Ausbildung oder eine Verlängerung eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses zählen. Im Jahr 2023 waren es ca. 10,5 Mio. neue Beschäftigungsverhältnisse.

Der Selbstversorgungsgrad ist seit 2013 mit Ausnahme von 2020 kontinuierlich gesunken (schwarz). Was zunächst wie eine sinkende Branchentreue erscheint, ist zutreffender als Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu beschreiben, denn die Hürden für den Wechsel sind durch den hohen und schwer zu deckenden Bedarf mitunter auch gezwungenermaßen gesunken.
 


 

Branchen mit anhaltend hohen Hürden (rot) bestehen im Gesundheitswesen, da dort zwingend bestimmte Qualifikationen vorliegen müssen. Wirtschaftszweige, die sich stärker geöffnet haben (grün), sind bspw. die Logistik und Lagerei, die Energieversorgung sowie die Herstellung von Glas, Keramik und der Verarbeitung von Steinen und Erden – allesamt Wirtschaftszweige mit stark gestiegener Nachfrage infolge des Onlineshoppings, der Energiewende und des Baubooms.

Typische Wirtschaftszweige mit bereits zuvor hoher Fremdrekrutierung (gelb/orange) sind der Bergbau, die Herstellung von Leder sowie Textilien, die Beseitigung von Umweltverschmutzung und sonstige Entsorgung, Reparatur von DV-Geräten und die persönlichen Dienstleistungen.

Die Wirtschaftszweige Gastronomie und Einzelhandel können als „Schwammbranchen“ typisiert werden. Aufgrund von befristeten Beschäftigungsverhältnissen und internen Unternehmens/Positionswechseln weisen sie einen mittleren Selbstversorgungsgrad auf, aber auch einen hohen Zu- sowie Abstrom in andere Bereiche.
 

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